Portrait: Georg Öfferl

Georg Öfferl erobert mit seinem Biobrot die Wiener Bäckereiszene. Doch in seiner Weinviertler Heimat geht das Konzept nicht so recht auf.

erschienen in DIE ZEIT

An einem Junimorgen kurz vor acht Uhr, die Sonne scheint vom Himmel, und vor der Bäckerei Öfferl hat sich eine Menschenreihe gebildet. Für Georg Öfferl ist das ein seltener Anblick. Der Bäckermeister ist es zwar gewohnt, dass Leute für sein Sauerteigbrot Schlange stehen – er kennt das von seinen Verkaufsstellen in Wien. Aber hier, auf den Stufen seiner kleinen Greißlerei im niederösterreichischen Gaubitsch, hat er das nicht oft erlebt. Der Andrang ist eigentlich auch nicht viel größer als sonst – der Stau vor der Bäckerei hat mit dem Coronavirus zu tun: Derzeit dürfen nicht mehr als drei Menschen gleichzeitig ins Geschäft.

Gaubitsch ist einer jener Orte, die typisch sind für das Weinviertel, lang gezogen, ohne wirklichen Ortskern. Die Häuser der rund 400 Einwohner stehen wie aufgefädelt entlang der Hauptstraße, die Bäckerei Öfferl trägt die Nummer 15. In deren Hinterzimmer, einem kleinen, vollgeräumten Raum zwischen Greißlerei und Backstube, sitzt Georg Öfferl und schenkt sich ein Häferl Filterkaffee aus einer Plastikkanne ein. „Ich schaue eigentlich als Erstes darauf, dass ein Brot mir selbst schmeckt“, sagt er. „Dann muss es auch den anderen schmecken.“

Der 29-Jährige, der hier in weißem T-Shirt, kakifarbenen Stoffhosen und Sneakers sitzt, wird gerade als Shootingstar der Backszene gehandelt. Öfferl ist einer der gefragtesten Bäcker Wiens – und das, obwohl seine Backstube knapp 60 Autokilometer von der Bundeshauptstadt entfernt liegt.

Öfferls Brot wird in Wiener Spitzenrestaurants zur Vorspeise serviert und in den angesagtesten Feinkostläden der Stadt verkauft. In einer Branche, in der viele ums Überleben kämpfen, gehört Öfferl zu den wenigen, die expandieren. Vergangenen Herbst hat er in der Wollzeile in der noblen Wiener Innenstadt sein erstes Verkaufslokal mit Bistro eröffnet, 200 Quadratmeter groß, modernes Design, hohe Sichtbetonwände und viel Glas. In Gaubitsch ist von diesem Image nicht viel zu sehen. Die Greißlerei verpackt die Brote zwar in den gleichen Papiertüten wie in Wien, doch neben dem Gebäck stehen hier Dosenchampignons, Coca-Cola in großen Plastikflaschen und Schokobananen in den Regalen.

„Am liebsten würde ich das alles rauswerfen“, sagt Georg Öfferl. Als der Weinviertler vor fünf Jahren die Familienbäckerei übernommen hat, krempelte er alles um: Bei Öfferl gibt es jetzt Bio-Sauerteigbrote von Hand gefertigt statt Backmischungen. Vermahlen werden nur noch alte Getreidesorten. Er kooperiert mit ausgewählten Landwirten aus der Region. Doch in der eigenen Greißlerei gibt es nach wie vor Produkte zu kaufen, die es auch in jedem Supermarkt gibt. Noch.

„Der Georg ist sehr impulsiv“, sagt seine Mutter Brigitte, die gerade in der Backstube steht und Semmeln formt. „Anfangs habe ich schon Zweifel gehabt.“ Als ihr Sohn ins Familiengeschäft eingestiegen ist, habe der Großhandel gerade angefangen, die gleichen Produkte zu verkaufen wie die kleinen Bäckereien. „Wir hätten auf der Welle mitschwimmen können oder komplett umsteigen“, sagt sie. „Wir sind umgestiegen.“ Das Wagnis hat sich gelohnt: Die Bäckerei, die früher gerade mal über die Runden kam, hat seit dem Relaunch ihren jährlichen Umsatz beinahe vervierfacht, auf 3,8 Millionen Euro. Im April eröffnete Georg Öfferl neben der Filiale in der Wollzeile einen Pop-up-Store in der Wiener Mariahilfer Straße.

Doch der große Erfolg in der Hauptstadt hat eine Kehrseite: In Öfferls Heimat ist das Geschäft völlig zusammengebrochen. Kein einziger Nahversorger verkaufe im Weinviertel mehr Öfferl Brot, erzählt seine Mutter Brigitte, mit Ausnahme der hauseigenen Greißlerei. „Vorwiegend geht es um den Preis“, sagt sie. Als sie und ihr Sohn Georg anfingen, das neue Sortiment bei früheren Abnehmern in der Region vorzustellen, hätten sie irgendwann abgebrochen. „Wir wurden fast beschimpft.“

Am Land sind kaum Menschen bereit, die stolzen Preise von Öfferl zu bezahlen. Das Brot kostet in Gaubitsch etwas weniger als in den Verkaufsstellen in Wien. Für den gleichen Laib Brot aus Roggen- und Weizenmehl zahlt ein Kunde in der Wollzeile 7,40 Euro, in der Greißlerei im Weinviertel sind es 5,90 Euro. Den Preisunterschied argumentiert Georg Öfferl mit den Lieferkosten, die in Gaubitsch wegfallen.

Produziert wird immer noch in der Backstube hinter der Greißlerei. Hier wird auch an diesem Morgen in jeder Ecke Teig gerührt und geknetet. 1813 Brote werden im Laufe des Tages in den Ofen geschoben werden. Die Bäckerei hatte Georgs Großvater im Jahr 1968 übernommen, später führte sie seine Mutter. Georg Öfferl steht inzwischen neben ihr in der Backstube, greift nach einem Stück Teig und formt in nur wenigen Sekunden eine Semmel. „Eine Handsemmel ist wie eine Unterschrift, jede schaut anders aus“, sagt er und schnappt den vier Mitarbeitern am Tisch ihre Semmeln aus der Hand, um den Beweis anzutreten.

Nicht nur Georgs Mutter arbeitet in der Bäckerei, Öfferl holte auch seinen Cousin Lukas Uhl als Geschäftspartner in das Unternehmen. Seine Cousine Sandra Schaffar kümmert sich um das Marketing. Georg Öfferl ist ein Familienmensch, das zeigt sich nicht nur an seiner Betriebsstruktur. Im Laufe des Vormittags werden sein Vater, seine Schwester, der Schwager, der Cousin und die Cousine auf einen Kaffee und ein paar Worte in der Bäckerei vorbeischauen.

Die ersten Brote waren sauer

Es gibt eine Geschichte, die Öfferl besonders gern erzählt. Sie handelt davon, wie alles angefangen hat, als er, der Jungspund, seine neuen Ideen vor den langgedienten Gesellen verteidigen musste. „Die ersten Brote waren im Nachhinein betrachtet sicher sehr grauslich und sauer“, sagt Öfferl. „Aber wurscht, es waren eigene Rezepturen.“ Öfferl mag diese Geschichte deswegen so gern, weil sein Konzept am Ende aufgegangen ist.

Dabei wollte er zuerst gar nicht ins Familienunternehmen. Nach der Matura begann Öfferl ein Fernstudium an der Hamburger Hochschule für Wirtschaftsingenieurwesen. Doch kurz vor seinem Abschluss, ihm fehlten zwei Prüfungen, brach er die Ausbildung ab, um doch die Bäckermeisterschule in Wels zu besuchen. Schon in dem Businessplan, den er dort 2014 geschrieben hatte, finden sich fast alle Eckpunkte der heutigen Marke Öfferl: hochwertige Bio-Zutaten, alte Rezepturen, ein Verkaufsstandort in der Wiener Innenstadt, der Fokus auf besser verdienende Kunden, denen ein gesunder und nachhaltiger Lebensstil wichtig ist. Und natürlich das Marketing.

Georg Öfferls Brot schmeckt zweifellos gut, aber das allein erklärt nicht den Hype um seine Backwaren in Wien. Das gesteht er auch selbst ein. „Fünfzig Prozent vom Erfolg ist Kommunikation“, sagt er. „Es machen sicher viele gute Produkte, kommunizieren das aber nicht.“ Wie man das erfolgreich macht, hat er sich von seinem Lehrmeister in Wels abgeschaut. „Dort habe ich die sogenannte Brotansprache gelernt, dass du, ähnlich wie beim Wein, das Brot charakterisiert.“ Nachdem er seine ersten Rezepte ausprobiert hat, erzählt er, habe er sich hingesetzt und sich gefragt: „Wie riecht das, wie schmeckt das, wie sieht das aus?“ Öfferl verkauft heute nicht einfach Dinkel- oder Vollkornbrote. Seine Backwerke tragen Namen wie Madame Crusteau, Rotraud von Oberkulm oder Rainer Roggen. Jedes Brot hat seine eigene Geschichte und eine passend illustrierte Papiertüte. Dieses Branding vermarktet Öfferl geschickt in den sozialen Medien. Auf dem Instagram-Account der Bäckerei sieht man selten Fotos von fertigen Produkten, sondern vielmehr eindringliche Stimmungsbilder: Landwirte aus der Region im Getreidefeld. Landwirte mit Bienenwaben. Die Mutter in der Backstube. Der Sohn beim Teigkneten.

Öfferl ist nicht der Einzige, der sein Brot so inszeniert, er ist auch nicht der Erste: Bäckereien wie Joseph Brot haben in Wien den Markt geöffnet für Gebäck, das nicht mehr nur Grundnahrungsmittel ist, sondern Lifestyle-Produkt. Mit repräsentativen Verkaufslokalen und einer Markenbotschaft, für die Herkunft und Herstellung der Produkte genauso wichtig ist wie eine knusprige Kruste. Öfferl hat sich angesehen, wie es die anderen machen, und erfolgreiche Strategien auf die eigene Bäckerei umgelegt. Er sagt: „Wer uns kauft, der kauft eine Lebenseinstellung.“

Georg Öfferl bezeichnet sich selbst und die Marke als bodenständig. Für Menschen, die nur seine Filiale in der Wiener Wollzeile kennen, klingt das erst mal wie ein Widerspruch. 1,1 Millionen Euro hat er in das Verkaufslokal investiert, das auf den ersten Blick wie eine Kunstgalerie wirkt. Von der Dienstkleidung bis zur Kaffeetasse ist hier alles durchdesignt. Wer aber Öfferl in der Greißlerei in Gaubitsch besucht, der trifft auf einen jungen Mann mit spitzbübischem Gesicht, der in einem Moment über nachhaltige Produktion und faire Löhne reden kann und im anderen mit seinen Mitarbeitern und Kunden scherzt. „Was willst du über mich in der Zeitung lesen, privat oder beruflich?“, fragt er seinen Schwager, der gerade auf Besuch gekommen ist. „Dass du ein Chaot bist“, erwidert dieser, und Georg Öfferl lacht: „Das weiß doch eh jeder.“

Obwohl Öfferls Absatzmarkt fast ausschließlich in Wien ist, will er auf keinen Fall das Weinviertel verlassen. Das Familienunternehmen in Gaubitsch ist Teil seiner Unternehmensidentität. Doch Öfferl bleibt nicht aus Marketinggründen auf dem Land. Hier ist er aufgewachsen, hier lebt er bis heute. Hier sind seine Freunde und die Familie. Hier hat er jahrelang im örtlichen Fußballclub gespielt. Er wolle seine Heimatregion wirtschaftlich stärken, sagt er. Und er hat auch schon eine Idee. Nach dem Vorbild des Chocolatiers Josef Zotter, der in der Südsteiermark eine Schokoladenmanufaktur inklusive Erlebniswelt betreibt, will er eine Brotwelt in Gaubitsch bauen – und hofft, dass er damit mehr Touristen ins Weinviertel locken kann.

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