Portrait: Investorella

Als 14-Jährige kaufte sie ihre erste Aktie. Nun will Larissa Kravitz hundert Millionen Frauen zum Investieren bringen.

erschienen in DIE ZEIT, Oktober 2019

Larissa Kravitz hat einen Plan, doch Leonardo DiCaprio steht dem im Weg. Oder besser gesagt, die Figur des von Drogen und der Macht des Geldes berauschten Börsenmaklers Jordan Belfort, die der Schauspieler im Film The Wolf of Wall Street verkörperte. Die Börse, so der Eindruck, ist etwas für exzentrische, gewissenlose Männer mit viel Geld. Larissa Kravitz hingegen will genau das Gegenteil vermitteln. Hundert Millionen Frauen will die 34-jährige Wienerin zum Investieren bewegen.

Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Larissa Kravitz in der Finanzbranche. Zuletzt war sie Risikomanagerin und Aufsichtsrätin beim milliardenschweren Immobilienkonzern Immofinanz. Kravitz weiß, wie männerdominiert der Bereich ist. Doch Frauen seien oft die besseren Investorinnen, ist sie überzeugt. „Weil sie mehr aufs Risiko achten.“ Kravitz lächelt viel, wirkt manchmal schüchtern, aber nicht unsicher. Sie quillt über vor Fachwissen, entschuldigt sich, wenn sie sich in Finanzmarktdetails verloren hat. „Viele Frauen schieben das Thema zur Seite. Ich will sie wachrütteln und ihnen zeigen, wie man beginnen kann zu investieren.“ Es sei notwendig, denn: Fast jede fünfte Frau über 65 ist in Österreich von Altersarmut betroffen. Die geprüfte Aktienhändlerin sieht Investments als unentbehrliche Altersvorsorge.

Kravitz’ Engagement beginnt im September 2018 mit einem Facebook-Post in der Gruppe des feministischen Netzwerkes Sorority. „Make the markets female! Wer hat Lust auf einen Investment-Workshop für Frauen?“, schreibt sie. Bevor sie den Beitrag veröffentlicht, macht sie sich Sorgen, dass sie „als Haifisch“ gesehen werden könnte. Doch das Interesse ist da, bald hält sie ihren ersten Workshop unter dem Namen Investorella.

Mittlerweile hat Kravitz sogar ihren Job gekündigt, um sich ganz dem Projekt zu widmen. Zwischen 30 und 70 Euro kostet die Teilnahme an ihren Workshops in der Regel. Die Teilnehmerinnen kommen bisher vor allem aus kreativen und bürgerlichen Berufen: Juristinnen, Journalistinnen und Web-Entwicklerinnen lassen sich von Kravitz etwa erklären, wie man ein Online-Depot eröffnet oder welche Finanzprodukte für Einsteigerinnen sinnvoll sind. Außerdem gibt es einen wöchentlichen Podcast.

Kravitz ist eine, die Zahlen mag und lieber analysiert, als nach Gefühl zu entscheiden – zumindest in finanziellen Fragen. Zu jeder Podcast-Folge veröffentlicht sie die Studien, auf denen die Inhalte aufbauen. Motto: „Man kann mir glauben, muss es aber nicht.“ Die Zahlen sagen aber auch: Von hundert Millionen investierenden Frauen ist Kravitz noch ziemlich weit entfernt, derzeit steht sie bei 350 Workshop-Alumni und 3000 Podcast-Aufrufen.

Jedes Unternehmen braucht eine Gründungsgeschichte. Die Geschichte, die Larissa Kravitz erzählt, handelt davon, wie sie mit 14 Jahren ihre ersten Aktien kaufte: „Total wilde Tech-Aktien in der New Economy. Die sind teilweise ein paar Hundert Prozent pro Tag gestiegen, das war viel mehr als mein monatliches Taschengeld.“

Es wäre ein ungewöhnliches Hobby für einen Teenager, doch Larissa Kravitz ist in einer Familie aufgewachsen, in der Aktienhandel Alltag war. Ihr Vater ist Michael „Mike“ Lielacher, in den Neunzigerjahren eine nicht unumstrittene Legende an der Wiener Börse. Schon mit 20 Jahren bekommt die als Larissa Lielacher aufgewachsene Tochter einen Vorstandsposten in einem Unternehmen ihres Vaters. Sie studiert Bank- und Finanzwirtschaft an der Fachhochschule des BFI Wien und baut mit 25 Jahren das Treasury Management eines Solarenergie-Unternehmens in Prag auf. Nach einem Master in Monaco gründet sie ein Start-up und landet schließlich bei Immofinanz.

Das ist die Version ihres Weges, wie sie in Kravitz’ Lebenslauf steht und die nach einer Aneinanderreihung von Erfolgen klingt. Doch ihr Weg ist auch voller Brüche. Als Kravitz’ Vater in Österreich wegen Untreue angeklagt wird – er wird später freigesprochen –, übersiedelt die Familie nach London, später nach Monaco. Nach dem Schulabschluss kehrt Kravitz nach Wien zurück. Sie strauchelt im Studium und gerät in einen „sehr negativen“ Freundeskreis: „Das waren Hardcore-Karrieristen, die darauf konzentriert waren, schnell Geld zu verdienen, egal wie.“

Kravitz’ Vater will seine Tochter aus dem Loch ziehen. Er betreibt in dieser Zeit mehrere Online-Medienunternehmen und überredet Kravitz, einzusteigen. So wird sie mit 20 Jahren Aufsichtsrätin und Vorstandsvorsitzende. Ob Kravitz sich diese Aufgabe zugetraut hat? „Die Frage hat sich nicht gestellt“, sagt sie, „mein Vater hat mich stark unter Druck gesetzt.“ Der Konflikt eskaliert, als Mike Lielacher sich über geschäftliche Entscheidungen seiner Tochter hinwegsetzt. Sie legt daraufhin alle Funktionen nieder, mehrere Jahre lang haben die beiden kaum Kontakt.

Man könnte auch sagen: Lange lebte Kravitz das Klischee der Tochter aus reichem Hause. Doch sie hat den Weg verlassen, den ihr der Vater geebnet hatte, und sich emanzipiert. „Das war wichtig, weil wir sehr unterschiedliche Philosophien haben“, sagt sie heute. Um dem Ruf des Vaters zu entkommen, zog sie nach Prag: „In Österreich konnte ich mit dem Namen Lielacher damals nicht in der Finanzbranche arbeiten.“

„Wenn eine sich traut, trauen sich mehr“

Bei ihrer Hochzeit im vergangenen Juni hat sie den Nachnamen ihres Mannes Avi Kravitz angenommen, der als Cyber-Security-Experte derzeit den Datenhack bei der ÖVP analysiert. Und seit wenigen Wochen ist ihr Übertritt zum Judentum abgeschlossen, sie lebt orthodox, mit allen Konsequenzen: Ihre Haare sind oft von einer Perücke, zumindest aber einem Haarteil oder einem „Tichel“ bedeckt, am Sabbat fährt sie nicht mit dem Auto, benutzt kein Handy. Die Konversion war ein langer Weg und beschäftigte sie, seit sie mit 24 durch Zufall erfuhr, dass es in ihrer Familie möglicherweise jüdische Wurzeln gebe: „Ich hatte in meiner Jugend immer das Gefühl, mir fehlt was.“

Die Familie ist nicht nur der Ort, an dem Kravitz’ Interesse an der Finanzwelt geprägt wurde, sie erlebt nach der Scheidung ihrer Eltern auch jene Situation, vor der sie heute in ihren Vorträgen warnt: „Durch die Jahre im Ausland hat meine Mutter einen sehr geringen Pensionsanspruch. Sie hat meinem Vater vertraut, statt selbst Geld für sich zur Seite zu legen.“

Kravitz findet finanzielle Unabhängigkeit wichtig, vom Partner, aber auch vom Staat. Sie will mit dem Vorurteil aufräumen, dass man für Investments viel Geld braucht: „Es geht mehr darum, es kontinuierlich über längere Zeiträume zu tun und sich was aufzubauen, von dem man in der Pension leben kann.“

Investorella ist kein klassisches Start-up, es geht Kravitz nicht darum, selbst viel Gewinn zu machen, sondern dabei zu helfen, dass möglichst viele Frauen ein bisschen Gewinn an der Börse machen. Doch lassen sich damit überhaupt jene Frauen ansprechen, die von Altersarmut gefährdet sind? Bettina Fuhrmann, Leiterin des WU-Instituts für Wirtschaftspädagogik, begrüßt zwar Kravitz’ Engagement, weil es in Österreich wenige Angebote gebe, die sich an Frauen richten. Aber die Workshops und der Podcast würden vor allem bei jenen ankommen, die schon offen sind für das Thema, sagt Fuhrmann. „Diejenigen, die am dringendsten Nachholbedarf beim Finanzwissen haben, werden am wenigsten mit diesem Medium erreicht werden können.“

Mit einem Studienkollegen gründet Kravitz das Start-up Flockpit, das rasch in den prestigeträchtigen Microsoft Ventures Accelerator aufgenommen wird.

Ob Finanzmarkt und Feminismus zusammenpassen, ist umstritten. Feministische Ökonomie geht in vielen Fällen mit einer Kritik am bestehenden System einher. Kravitz hingegen will mit den Spielregeln des etablierten Systems bessere Bedingungen für Frauen erwirken. Eine Investorella-Teilnehmerin sagt, der Workshop habe sie dazu gebracht, Investments aus einer anderen Perspektive zu sehen. Obwohl sie dem Aktienmarkt nach wie vor kritisch gegenüberstehe, habe sie ein Depot angelegt, um in nachhaltige Unternehmen investieren zu können.

Selbst wenn man nach ihren Workshops immer noch davon überzeugt sei, dass die Börse ein Treffpunkt für die kapitalistischen Schurken dieser Welt sei, gäbe es einen Grund, um zu investieren, sagt Kravitz: Aktivismus. Jede Aktionärin hat das Recht, auf der Hauptversammlung börsennotierter Unternehmen zu sprechen. Larissa Kravitz erzählt von einer Klimaaktivistin, die auf der RWE-Hauptversammlung dem Energiekonzern einheizte. Und dann sagt sie einen Satz, der für Aktivismus genauso gelten soll wie für Aktieninvestments: „Wenn eine sich traut, trauen sich mehr.“

Photo by Markus Spiske on Unsplash

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